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Mein Leben und Streben - Karl May

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Kurze Zeit darauf lernte ich auch Stücke kennen, die nicht von der Volksseele, sondern von Dichtern für das Theater geschrieben worden waren, und das ist der Punkt, an dem ich auf meine Trommel zurückzukommen habe. Es ließ sich eine Schauspielertruppe für einige Zeit in Ernsttal nieder. Es handelte sich also nicht um ein Puppen-, sondern um ein wirkliches Theater. Die Preise waren mehr als mäßig: Erster Platz 50 Pfennige, zweiter Platz 25 Pfennige, dritter Platz 15 Pfennige und vierter Platz 10 Pfennige, nur zum Stehen. Aber trotz dieser Billigkeit blieb täglich über die Hälfte der Sitze leer. Die »Künstler« fielen in Schulden. Dem Herrn Direktor wurde himmelangst. Schon konnte er die Saalmiete nicht mehr bezahlen; da erschien ihm ein Retter, und dieser Retter war – — – ich. Er hatte beim Spazierengehen meinen Vater getroffen und ihm seine Not geklagt. Beide berieten. Das Resultat war, daß Vater schleunigst nach Hause kam und zu mir sagte: »Karl, hole deine Trommel herunter; wir müssen sie putzen!« »Wozu?« fragte ich. »Du hast die Preziosa und alle ihre Zigeuner dreimal über die ganze Bühne herumzutrommeln«. »Wer ist die Preziosa?« »Eine junge, schöne Zigeunerin, die eigentlich eine Grafenstochter ist. Sie wurde von den Zigeunern geraubt. Jetzt kommt sie zurück und findet ihre Eltern. Du bist der Tambour und bekommst blanke Knöpfe und einen Hut mit weißer Feder. Das zieht Zuschauer herbei. Es wird bekannt gemacht. Wird das »Haus« voll, so gibt der Herr Direktor dir fünf Neugroschen; wird es aber nicht voll, so bekommst du nichts. Morgen vormittag 11 Uhr ist Probe.«

Es versteht sich ganz von selbst, daß ich in Wonne schwamm. Zigeunertambour! Eine Grafentochter! Blanke Knöpfe! Weiße Feder! Dreimal um die ganze Bühne herum! Fünf Neugroschen! Ich schlief in der folgenden Nacht sehr wenig und stellte mich mit meiner Trommel sehr pünktlich zur Probe ein. Sie verlief sehr gut. Ich gefiel sämtlichen Künstlerinnen und Künstlern. Die Frau Direktorin streichelte mir die Wange. Der Herr Direktor lobte mein intelligentes Gesicht, meinen Mut und mein schnelles Begriffsvermögen. Meine Rolle sei aber auch sehr leicht. Vielleicht täte ich es für vierzig Pfennige; schon mit dreißig Pfennigen sei dieses Honorar splendid zu nennen. Aber Vater war mit dabei und ging um keinen Pfennig herunter, denn er hatte meinen künstlerischen Wert erkannt und ließ nicht mit sich handeln. Ich hatte für die fünfzig Pfennige nur einmal aufzutreten, um dem großen Zigeunerumzug voranzumarschieren. Ich stand an einer Kulisse, die Zigeuner alle hinter mir. Mir gegenüber in der jenseitigen Kulisse stand der Regisseur, der den alten Schloßvogt Pedro spielte. Wenn der die rechte Hand emporhob, so war dies das Zeichen für mich, meinen Marsch sofort zu beginnen und nach einem dreimaligen, strammen Umgang in derselben Kulisse wieder zu verschwinden. Das war so kinderleicht; man konnte gar nicht irren. Die blanken Knöpfe bekam ich gleich nach der Probe mit. Mutter mußte sie mir anflicken. Es waren über dreißig Stück; sie gingen fast gar nicht ganz auf meine Weste. Im Laufe des Nachmittages brachte man mir den Hut mit der weißen Feder. Der wurde als Reklame zum Fenster hinausgehängt und hat seine Wirkung getan. Ich hatte mich eine Viertelstunde vor Beginn der Vorstellung einzustellen. Da wurde ich von der Frau Direktorin strahlenden Angesichtes empfangen, denn der Zuschauerraum war schon jetzt derart gefüllt, daß schnell ganz vorn noch einige »Logen« eingerichtet wurden mit dem Preise von zehn Neugroschen pro Platz. Auch die waren rasch verkauft. Vater, Mutter und Großmutter hatten Freiplätze bekommen. Ich war eben an diesem Tage ein höchst wertvolles Menschenkind. Diese Erkenntnis hatte sich so allgemein verbreitet, daß die Frau Direktorin sich bewogen fühlte, mir meine fünf Neugroschen schon ehe der Vorhang zum ersten Male aufging, in die rechte Hosentasche zu stecken. Das erhöhte meine Sicherheit und meine künstlerische Begeisterung bedeutend.

Und nun waren sie da, die großen, erhabenen Augenblicke meines ersten Bühnendebüts. Der erste Akt spielte in Madrid. Da hatte ich nichts zu tun. Ich saß in der Ankleidekammer und horchte auf das, was auf der Bühne gesprochen wurde. Da wurde ich geholt. Ich schnallte die Trommel an, setzte den Federhut auf und ging nach meiner Kulisse. Don Fernando und Donna Klara und noch irgend wer standen auf der Bühne. In der gegenüberliegenden Kulisse lehnte der Schloßvogt Pedro, der mir das Zeichen zu geben hatte. Er sah mich mit einem so energischen Schritte kommen, daß er glaubte, ich wollte gleich und direkt hinaus auf das Podium. Darum hob er schnell die rechte Hand, um dem abzuwehren. Ich aber nahm das ganz selbstverständlich für das verabredete Zeichen, obgleich die Zigeuner noch nicht hinter mir standen, begann meinen Wirbel zu schlagen und marschierte hinaus, rund um die Bühne herum. Don Fernando und Donna Klara standen vor Schreck ganz starr. »Lausbub!« schrie mir der Schloßvogt zu, als ich an ihm vorüberschritt. Er griff aus der Kulisse heraus, um mich zu fassen und zu sich hineinzuziehen, aber schon war ich an ihm vorüber. Aus allen Kulissen winkte man mir, doch aufzuhalten und hineinzukommen; ich aber bestand auf dem, was ausgemacht worden war, nämlich dreimal rund um die Bühne herum. »Lausbub!« brüllte der Schloßvogt, als ich zum zweiten Mal an ihm vorüberkam, und zwar tat er das so laut, daß es trotz des Trommelwirbels auch hinaus- und über den ganzen Zuschauerraum schallte. Lautes Gelächter antwortete von dorther; ich aber begann meine dritte Runde. »Bravo, bravo!« erklangen die Beifallsrufe des Publikums. Da kam endlich Bewegung in den erschrockenen Herrn Direktor, der den Don Fernando spielte. Er sprang auf mich zu, faßte meine beiden Arme, so daß ich stehenbleiben und die Trommelschlegel ruhen lassen mußte und donnerte mich an:

»Junge, bist du denn ganz toll geworden? So halte doch auf!

»Nein, nicht aufhalten, sondern weiter, immer weiter!« rief man im Zuschauerraum lachend.

»Ja, weiter, immer weiter!« antwortete auch ich, indem ich mich von ihm losriß. »Die Zigeuner haben zu kommen! Raus mit der Bande, raus mit der Bande!«

»Ja, raus mit der Bande, raus mit der Bande!« schrie, brüllte und johlte das Publikum.

Ich aber marschierte weiter und begann meinen Wirbel von neuem. Und da kam sie, die Bande, wenn auch nur notgedrungen, voran Vianda, die alte Zigeunermutter, und dann die Andern alle hinterdrein. Nun begann erst der eigentliche Umzug, dreimal rund um und dann zu meiner Kulisse wieder hinein. Aber damit gab sich das Publikum nicht zufrieden. Es rief: »Heraus mit der Bande, heraus!« und wir mußten den Umzug von neuem beginnen und immer wieder von neuem. Und am Schluß des Aktes mußte ich noch zweimal heraus. War das ein Gaudium! Sodann hatte ich eigentlich nichts mehr zu tun und konnte gehen, aber der Herr Direktor ließ mich nicht fort. Er schrieb mir eine kurze Ansprache auf, die ich jetzt auswendig lernen und am Schlusse der Vorstellung halten sollte. Für den Fall, daß ich meine Sache gut machen würde, versprach er mir noch weitere fünfzig Pfennige. Das wirkte äußerst anregend auf mein Gedächtnis. Als das Stück zu Ende war und der Beifall zu verklingen begann, marschierte ich noch einmal trommelwirbelnd hinaus, um dann ganz vorn an der Rampe die »hohen Herrschaften« zu bitten, sich noch nicht gleich zu entfernen, weil die Frau Direktorin erscheinen und von Platz zu Platz gehen werde, um Abonnementsbilletts zu verkaufen, so billig, wie sie morgen, übermorgen und auch fernerhin unmöglich abgegeben werden könnten. Als Reminiszenz auf den Wortlaut des heutigen Beifalles hatte der Herr Direktor dem Schlusse dieser Ansprache folgende Fassung gegeben: »Also rrrrein mit der Hand in den Beutel! Und rrrraus mit den Moneten, rrrraus!«

Das wurde nicht etwa übel-, sondern mit gutwilligem Lachen entgegengenommen und hatte den gewünschten Erfolg. Alle Gesichter strahlten, sowohl diejenigen der hohen Direktion als auch diejenigen aller übrigen Künstlerinnen und Künstler, das meinige nicht ausgeschlossen, denn ich bekam nicht nur meine weiteren fünf Neugroschen, sondern dazu auch noch ein Freibillett, welches für den ganzen, diesmaligen Aufenthalt der Truppe bei uns galt. Ich habe es wiederholt benutzt, und zwar für Stücke, in welche Vater mich gehen lassen konnte. Uebrigens gab es bei dieser braven Truppe wohl kaum eine sittliche Gefahr für die Zuhörerschaft, denn als der Herr Direktor sich eines Tages mit am Kegelschieben beteiligte und bei dieser Gelegenheit gefragt wurde, warum er alle zärtlichen Liebesszenen so ängstlich aus seinen Stücken streiche, antwortete er: »Teils aus moralischem Pflichtgefühl und teils aus kluger Erwägung. Unsere erste und einzige Liebhaberin ist zu alt und auch zu häßlich für solche Rollen.«

In den Stücken, die ich da besuchte, forschte ich nach dem Kreuz und nach den Fäden, an denen die Puppen hangen. Ich war zu jung, sie zu finden. Das blieb einer späteren Zeit vorbehalten. Auch wollte es mir nicht gelingen, den Gott, den Teufel und den Menschen herauszufinden. Das passiert mir sogar noch heut sehr häufig, obwohl diese drei Foktoren [sic] nicht nur die bedeutendsten, sondern sogar die einzigen sind, aus deren Zusammenwirken sich ein Drama aufzubauen hat. Das sage ich jetzt, als Mann, als Greis. Damals, als Kind, verstand ich nichts davon und ließ mir von der leeren, hohlen Oberflächlichkeit gewaltig imponieren, wie jedes andere größere oder kleinere Kind. Die Menschen, die solche Stücke schrieben, die auf die Bühne gegeben wurden, kamen mir wie Götter vor. Wäre ich ein so bevorzugter Mensch, so würde ich nicht von geraubten Zigeunerinnen erzählen, sondern von meinem herrlichen Sitara-Märchen, von Ardistan und Dschinnistan, von der Geisterschmiede von Kulub, von der Erlösung aus der Erdenqual und allen anderen, ähnlichen Dingen! Man sieht, ich befand mich hier wieder an einem jener Punkte, an denen ich aus dem Halt, den andere Kinder haben und der auch mir so nötig war, in eine Welt emporgerissen wurde, in die ich nicht gehörte, weil sie nur von auserwählten Männern in reifen Jahren betreten werden darf. Und noch Anderes kam hinzu.

Meine Eltern waren evangelisch-lutherisch. Demgemäß war ich evangelisch-lutherisch getauft worden, genoß evangelisch-lutherischen Religionsunterricht und wurde, als ich vierzehn Jahre alt geworden war, evangelisch-lutherisch konfirmiert. Aber zu einer Stellungnahme gegen Andersgläubige führte das keineswegs. Wir hielten uns weder für besser noch für berufener als sie. Unser alter Pfarrer war ein lieber, menschenfreundlicher Herr, dem es gar nicht in den Sinn kam, im Bereiche seines Kirchenamtes religiösen Haß zu säen. Unsere Lehrer dachten ebenso. Und die, auf die es hier am meisten ankam, nämlich Vater, Mutter und Großmutter, die waren alle drei ursprünglich tief religiös aber von jener angeborenen, nicht angelehrten Religiosität, die sich in keinen Streit einläßt und einem jeden vor allen Dingen die Aufgabe stellt, ein guter Mensch zu sein. Ist er das, so kann er sich dann um so leichter auch als guter Christ erweisen. Ich hörte einst den Herrn Pastor mit dem Herrn Rektor über religiöse Differenzen sprechen. Da sagte der erstere: »Ein Eiferer ist niemals ein guter Diplomat.« Das habe ich mir gemerkt. Ich habe bereits gesagt, daß ich an jedem Sonn- und Feiertag zweimal in die Kirche ging, doch ohne bigott zu sein oder mir dies gar als Verdienst anzurechnen. Ich habe täglich gebetet, in jeder Lage meines Lebens, und bete noch heut. Seitdem ich lebe, ist es mir keinen Augenblick lang beigekommen, an Gott, an seiner Allmacht, seiner Weisheit, Liebe und Gerechtigkeit, zu zweifeln. Ich bin auch heut noch unerschütterlich in diesem meinem felsenfesten Glauben.

Ich habe stets eine Hinneigung zum Symbolismus gehabt, und zwar nicht nur zum religiösen. Eine jede Person und eine jede Handlung, die etwas Gutes, Edles, Tiefes bedeutet, ist mir heilig. Darum machten einige religiöse Gebräuche, an denen ich mich als Knabe zu beteiligen hatte, auf mich einen ganz besonderen Eindruck. Der eine dieser Gebräuche war folgender: Die Konfirmanden, welche am Palmsonntag eingesegnet worden waren, beteiligten sich am darauf folgenden grünen Donnerstag zum ersten Male in ihrem Leben an der heiligen Kommunion. Nur während dieser einen Abendmalsdarreichung, sonst während des ganzen Jahres nicht, standen die ersten vier Kurrendaner je zwei und zwei zu beiden Seiten des Altares, um Handreichung zu tun. Sie waren genau wie Pfarrer gekleidet, Priesterrock, Bäffchen [sic] und weißes Halstuch. Sie standen zwischen dem Geistlichen und den paarweise herantretenden Kommunikanten und hielten schwarze, goldgeränderte Schutztücher empor, damit ja nichts von der dargereichten heiligen Speise verloren gehe. Da ich sehr jung zur Kurrende gekommen war, hatte ich dieses Amtes mehrere Male zu walten, ehe ich selbst zur Einsegnung kam. Diese frommen, gottesgläubigen Augenblicke vor dem Altare wirken noch heute, nach so vielen Jahren, in mir fort.

Ein anderer dieser Gebräuche war der, daß am ersten Weihnachtsfeiertage jedes Jahres während des Hauptgottesdienstes der erste Knabe der Kurrende die Kanzel zu besteigen hatte, um die Weissagung des Jesaias Kap. 9 Vers 2 bis mit Vers 7 zu singen. Er tat dies ganz allein, mit milder, leiser Orgelbegleitung. Es gehörte Mut dazu, und es kam nicht selten vor, daß der Organist dem kleinen Sänger zur Hilfe zu kommen hatte, um ihn vor dem Steckenbleiben zu bewahren. Auch ich habe diese Weissagung gesungen, und genauso, wie die Gemeinde sie von mir hörte, so wirkt sie noch heute in mir fort und klingt von mir hinaus bis in die fernsten Kreise meiner Leser, wenn auch in andern Worten, zwischen den Zeilen meiner Bücher. Wer als kleiner Schulknabe auf der Kanzel gestanden und mit fröhlich erhobener Stimme vor der lauschenden Gemeinde gesungen hat, daß ein helles Licht erscheine und von nun an des Friedens kein Ende sein werde, den begleitet, wenn er sich nicht absolut dagegen sträubt, jener Stern von Bethlehem durch das Leben, der selbst dann noch weiterleuchtet, wenn alle andern Sterne verlöschen.

Wer nicht gewöhnt ist, tiefer zu blicken, der wird jetzt wahrscheinlich sagen, daß ich auch hier wieder auf einen der Punkte gestoßen sei, an denen mir ein fester Halt nach dem andern unter den Füßen hinweggenommen wurde, so daß ich schließlich seelisch ganz nur in der Luft zu schweben hatte. Es ist aber grad das Gegenteil der Fall. Es wurde mir nichts genommen, sondern viel, sehr viel gegeben, zwar kein Halt und kein Unterschlupf in der Richtung nach der Erde zu, dafür aber ein Tau, stark und fest genug, mich an ihm emporzuretten, wenn unter mir der Abgrund sich öffnen sollte, dem ich, wie Fatalisten behaupten würden, von allem Anfang verfallen war. Indem ich nun von diesem Abgrund zu sprechen beginne, betrete ich diejenigen Gegenden meiner sogenannten Jugend, in welcher die Sümpfe lagen und heut noch liegen, aus denen alle die Nebel und alle die Gifte stiegen, durch welche mein Leben mir zu einer ununterbrochenen, endlosen Qual geworden ist.

Dieser Abgrund heißt, damit ich ihn gleich beim richtigen Namen nenne – — Lektüre. Ich bin ihn nicht etwa hinabgestürzt, plötzlich, jählings und unerwartet, sondern ich bin ihn hinabgestiegen, Schritt um Schritt, langsam und absichtlich, sorgsam geleitet von der Hand meines Vaters. Freilich ahnte dieser ebensowenig wie ich, wohin dieser Weg uns führte. Meine erste Lektüre bildeten die Märchen, das Kräuterbuch und die Bilderbibel mit den Anmerkungen unserer Vorfahren. Hierauf folgten die verschiedenen Schulbücher der Vergangenheit und Gegenwart, die es im Städtchen gab. Dann alle möglichen anderen Bücher, die Vater sich zusammenborgte. Nebenbei die Bibel. Nicht etwa eine Auswahl biblischer Geschichten, sondern die ganze, volle Bibel, die ich als Knabe wiederholt durchgelesen habe, vom ersten bis zum letzten Worte, mit allem, was drin steht. Vater hielt das für gut, und keiner meiner Lehrer widersprach ihm da, auch der Pfarrer nicht. Er duldete nicht, daß ich, wenn auch nur scheinbar, müßig stand. Und er war gegen alle Beteiligung an den »Unarten« anderer Knaben. Er erzog mich, wie man Muster herausarbeitet, um sie andern anzupreisen. Ich mußte stets zu Hause sein, um zu schreiben, zu lesen und zu »lernen«! Von dem Handschuhnähen wurde ich nach und nach befreit. Auch wenn er ausging, brachte mir das keine Erlösung, sondern er nahm mich mit. Wenn ich meine Altersgenossen auf dem Markte springen, tollen, spielen und lachen sah, wagte ich es nur selten, den Wunsch auszusprechen, mittun zu dürfen, denn wenn Vater keine gute Laune hatte, war dies höchst gefährlich. Saß ich dann betrübt oder gar mit heimlichen Tränen bei meinem Buche, so kam es vor, daß Mutter mich leise zur Tür hinaussteckte und erbarmend sagte: »So geh schnell ein bißchen hinaus; aber komme ja in zehn Minuten wieder, sonst schlägt er dich. Ich sag, ich habe dich wohingeschickt!« O, diese Mutter, diese einzig gute, arme, stille Mutter! Wer da wissen will, wie und was ich noch heut über sie denke, der schlage in meinen »Himmelsgedanken« das Gedicht auf Seite 105 auf. Und das auf Seite 109 bezieht sich auf meine Großmutter, aus deren Seele die Gestalt meiner Marah Durimeh herausgewachsen ist, jener orientalischen Königstochter, die für mich und meine Leser als »Menschheitsseele« gilt.

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