Rabenliebe - Peter Wawerzinek
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Dem täglichen Trott der Adoptionszeit entkommen, befreit von ständigen Belehrungen, liege ich froh in meinem Bett. Nicht einmal kommt Langweile auf. Einsamkeit kennt dieser Zehnmannsaal nicht. Das Adoptionshaus ist vergessen, nur noch die Großmutter in Erinnerung, die mich nicht besuchen kommt. Das erledigt die Adoptionsmutter, die ihre Kleidungsstücke ausführen will. Es ist schön, stillgelegt zu sein und an keine Pflicht gebunden, auf sich reduziert und die Leute um einen herum, deren Tagesablauf durch Schwesternbesuche, Neuankünfte und die Verpflegung bestimmt wird. Es macht Spaß, dabei zu sein, den Leuten zuzusehen, ihnen, ohne sie zu verstehen, zuzuhören. Ich weiß mich sicher in den vier Wänden des großen Gemeinschaftszimmers, meinem Zehnmannsaal. Für drei Wochen den Zieheltern entkommen, gehöre ich mir. Ich kritzle in ein kleines Notizbuch, zeichne Figuren, schreibe Zahlen auf und Großbuchstaben, die ich in Tiere verwandle. Und keiner überwacht mein Tun, niemand versucht, mich abzuhalten und mich mit Verboten in den Griff zu bekommen. Die mit mir im gleichen großen Zimmer liegen, haben andere Sorgen, als mir das gute Benehmen beizubringen. Ich muss keine Sohnrolle mehr spielen, brauche Gelerntes nicht vertiefen. Die Adoptivkindpuppe ist von ihren Seilen abgeschnitten, von ihren Fäden befreit. Im Krankenhaus gibt es Mischbrot und Marmelade, so dick wie ich sie mir schmieren will. Ich bekomme das hartgekochte Ei ohne Eierbecher auf den blanken Teller gelegt, kann das Ei in die Hand nehmen, es an meinem Kopf aufklopfen, ohne dass es stört. Ich kann zwischen zwei Mittagessen auswählen, darf über mein Getränk selbst entscheiden, Malzkaffee bestellen und Tee kommen lassen. Man bringt mir auf Wunsch auch sieben Stück Zucker extra, die ich mir nacheinander auf der Zunge zergehen lasse. Ich darf drei oder vier Scheiben Wurst aufs Brot legen, Milch, Malzkaffee und Tee mixen, zum Abendbrot Pflaumenmus wegputzen. Ich werde täglich von der Adoptionsmutter besucht, die leise auf mich einspricht, laut und deutlich wird, wenn zu beschreiben ist, wie entsetzlich sie die Luft im Zehnmannsaal findet, und zu den Kranken Herrschaften sagt, ob es den Herrschaften etwas ausmache, die Fenster zu öffnen, wie man in solch einer Luft existieren könne, was das nur für Schwestern seien, die das nicht von alleine merkten, dass da erst sie kommen müsse und dafür sorgen, dass die Fenster geöffnet würden, und dass sie auf dem Gang über den langen Flur hierher ein Zimmerchen gesehen hätte, ein Zweimannzimmer, das anständig ausgeschaut habe, besser durchlüftet wäre, weniger warm und stickig sei als hier. Sie bestürmt die Schwester, den Krankenpfleger, mich in ein kleineres Zimmer zu verlegen. Die könnten da leider nichts unternehmen, antworten diese, die kleineren Zimmer seien für Kranke reserviert. Die Adoptionsmutter verspricht dem Personal, sich oben zu beschweren, man werde von ihr hören, man werde sehen, sie werde mit dem Chefarzt reden, dass die vorgefundenen akuten Zustände nicht akzeptabel seien und die Leute im Zimmer für einen Jugendlichen eine Zumutung. Der Adoptionsvater werde sich verwenden, flüstert sie zu mir, er sei ja schließlich wer. Wie blass du bist, geben sie dir richtig zu essen, fragt sie und ich antworte, dass es mir gut gehe. Mein Bein ist bis an die Pobacke in Gips gehüllt. Altermann setzt sich zu mir, liest mir aus einem dicken Wochenblatt vor, kaum dass ich aus der Narkose erwache. Ein Mann sei völlig vereinsamt gestorben, man habe ihn vergessen, er hätte bis zu seinem Tod vor sich hin gedämmert, wäre innerlich gebrochen, Ende September in New York (auf den Tag dreiundsechzig Jahre vor meiner Geburt) gestorben. Drittes von acht Kindern schottischer Einwanderer. Sollte nach dem Willen der Mutter Geschäftsmann werden, zeigte aber weder Begabung noch Interesse, verschuldete sich erheblich, ging in Konkurs, hielt sich kurze Zeit als Pelzverkäufer über Wasser, versuchte sich als Lehrer, heuerte auf einem Walfänger an, fand die Bedingungen an Bord unzumutbar, haute beim ersten Zwischenhalt auf einer Insel ab, floh durch die Berge, wurde im Tal gefangen genommen, am Bein verletzt, studierte das Leben der Fremden, heuerte auf einem anderen Walfänger an, gelangte nach Tahiti, wurde dort wegen Teilnahme an einer Rebellion an Bord verhaftet, floh aus dem Gefängnis, ließ sich auf Hawaii nieder, kehrte von Honolulu aus als einfacher Matrose nach Hause zurück, heiratete und wollte dann ein Schriftsteller werden, hat dicke Bücher verfasst, konnte nicht von der Schriftstellerei leben, nahm eine Stellung als Zollinspektor im Hafen an, schrieb drei Bände über seine Erlebnisse auf dem Walfangschiff, erfand Kapitän Ahab, der von der Jagd nach dem legendären weißen Wal besessen ist, von dem Pottwal angegriffen und vernichtet wird, ein fulminantes Ende.
Alter Mann liest den Text eines Briefes an den Verleger vor: Im kommenden Spätherbst sollte ich mit einem neuen Werk fertig sein… ein Abenteuerroman, der auf gewissen wilden Legenden aus den Pottwalfanggebieten im Süden gründet, ausgeschmückt mit den eigenen persönlichen Erfahrungen des Autors als Harpunier, die er im Laufe von mehr als zwei Jahren gesammelt hat… Ich wüsste nicht, dass das behandelte Thema jemals von einem Romancier, ja überhaupt von irgendeinem Schriftsteller in angemessener Weise bearbeitet worden wäre. Zu Lebzeiten Melvilles sind gerade mal dreitausend Exemplare von Moby Dick verkauft worden. Dein Lebensvogel ist der Kolkrabe, sagt Altermann, intelligent, sozial und anpassungsfähig, in Volkes Überlieferung hoch beschworen, sein samtschwarzes Gefieder, metallisch blau, der Schnabel kräftig, wie ein Haken gebogen. Ein weises Tier, so gütig die Augelein. Der schwarze Rab, der war der Koch, das sah man an seinen Kleidern wohl. Ein alles fressender Vogel, der mit Respekt behandelt sein will, auch wenn er sich gelegentlich von kleinen Vögeln nährt, von Aas. Es stürzt der Rabe hungrig sich auf den toten Hasen, hackt ihm die Augen aus. Besser für mich, den Raben fern zu sein und sie in den ach so schlanken, hohen Bäumen gut aufgehoben zu wissen. Van Gogh, sein Selbstbildnis mit verbundenem Ohr, Zeugnis der Katastrophe, die im Wintermonat Dezember beginnt, ihn nach einer hitzigen Auseinandersetzung mit Gauguin zwingt, Hand an sich zu legen, sich ein Stück vom linken Ohr abzuschneiden, woraufhin man ihn in die Nervenheilanstalt schafft, was van Gogh nicht davon abhält, von Wind und Wut vibrierende Werke zu schaffen, Getreidefeld mit den Raben, Raben wie die Schatten des Todes, die von der Leinwand her den Maler anrufen und mahnen, sodass dieser nach der Fertigstellung des Bildes sich auf den Rat der Raben hin die tödliche Verletzung mit dem Revolver beibringt, an welcher er zwei Tage später stirbt. Edgar Allen Poe lese ich im Alter von vierzehn Jahren unter der Bettdecke im Kegel der Taschenlampe. Die Ballade The Raven, in der es um das Verlassensein geht, in stürmischer Winternacht, in einem rätselhaften Zwiegespräch mit einem Raben, der plötzlich aufgetaucht ist und trauert. Erinnerte Stationen des Glücks, abgelöst von Klagen, gegen seelische Grausamkeit, Schicksal, alles personifiziert in der Gestalt des Raben. Das Ewiggleiche steigert die Wirkung. Ich bewundere, erleide den Einsatz poetischer Mittel, lese und lebe den atemlosen Text, die ekstatische Sprache. Der Rabe hockt fortan vor meinem Fenster, klopft von draußen her mit seinem dunklen Schnabel gegen das Fensterglas. Klopf, klopf, poch, poch, lässt mich im Fieber zucken. Jedwedes Geräusch verunsichert mich. Ich bin auf dem Sprung zum Zimmer hinaus, heute wie vorzeiten, immer noch zwischen Kindsein und Mannesalter, vom Fieber gebeutelt, wie damals, nachdem ich die Geschichte gelesen habe. Drei Tage bin ich ermattet, von der Magie der Worte, dem Sog der Geschichte ergriffen. Die Großmutter kommt und salbt mich. Ich krampfe und schwitze. Schweiß bildet Tropfen auf meiner Stirn. Es ist der Rabe, sage ich. Kein Rabe, sagt die Großmutter, ein beginnender Sonnenstich, weiter nichts. Es ist der Rabe, es ist Edgar Allen Poe, rufe ich. Mich schwindelt vor seiner Schnabelbotschaft. Einbildung ists, lindert die Großmutter meine Erregung. Ich werde gesund. Ich bekomme ein Käppi auf den Kopf gesetzt. Der Anfall ist ausgestanden.
Ein Junge mit Bauchschmerzen wird in den Zehnmannsaal geschoben. Es ist der Blinddarm, sagt er. Ein paar Stunden später ist der Blinddarm draußen. Der Junge trägt auf dem Kopf ein Strumpfband, wie der Bandit beim Überfall eine Strumpfhose überm Gesicht, am Ende wie ein Wurstzipfel verknotet. Die komische Kopfkapuze verleiht ihm dann das Aussehen einer Stoffpuppe. Ich nenne den Jungen Zipfelchen. Zipfelchen sagt zum Pfleger, er soll ihn in Ruhe aufs Klo gehen lassen, er könne das allein, brauchte keine Hilfe. Ja, sagt der Arzthelfer, hebt den Jungen auf den Schieber (Pfanne genannt), dass der Junge aufschreit und dafür vom Teppichstürzer ausgelacht wird. Kurze Zeit später ist der Junge auf dem Schieber eingeschlafen. Des Morgens steht ein verwirrter Mann im Raum, geht von Bett zu Bett, reibt seine Handinnenflächen aneinander, die raue Töne von sich geben. Wühlt in seinen Plastikbeuteln, geht um, glättet die Kleider, richtet die Frisur her, sucht was in der Tüte, holt nichts hervor, winkt ab, lacht breit, erhebt sich, steht an meinem Bett, sagt zu mir: Blick nicht zurück, Junge, wenn du nicht willst, dass Böses geschieht.
Ich will nur noch im Krankenhaus leben, fühle mich frei, versenke mich in fremde Leben, glaube alles aufs Wort, selbst die große Angeberei von Teppichstürzer. Bin mir so gut unterm Neonlicht. Ich liege, das eine Bein angezogen. Vor dem Fenster liegen die Zweige der Bäume unter einer weißen Decke aus frisch gefallenem Schnee. Die Krankenschwestern tragen schneeweiße Kittel. Die Betten sind weißer Schnee. Die Schwestern kommen an mein Bett, verabreichen mir Tabletten und Getränke mit den Worten: Wir wollen wieder schnell gesund werden. Ich schlucke die Pillen, nicke und will gar nicht zu flink gesunden, will lieber im Bett bleiben, mit offenen Augen träumen, wie ich am Ufer eines Meeres stehe, im frühen Nebel Leichtmatrose bin auf einem Riesenpott, zwischen den Kontinenten hin und her schiffe. Von der Straße kommen verschiedene Geräusche. Vorm Fenster stehen kahle Bäume. Krähen ziehen ungerührt vorbei. Und später dann legt ein Gärtner mir das getüpfelte, hellblaue Ei auf die Fland, das ein Rabenei ist. Sagt, dass Raben ihre Jungen gemeinsam pflegen. Später begegnet mir der sprechende Rabe in Pasolinis Film Große Vögel, kleine Vögel, der zwei Brüder in philosophische Debatten über das Leben verwickelt, und ich lese von Odin in der Walhalla, dem grausigen Ort, an den die Krieger nach ihrem Tod in der Schlacht geholt werden, wo Odins zwei schwarzen Raben, Hugin, der Gedanke, und Munin, das Gedächtnis, herrschen. Und die islamische Weltgewandtheit ehrt Kain und Abel als Kabil und Habil. Beide haben Zwillingsschwestern, die so schönes dunkles Haar tragen, wie Rabenfedern schillernd. Allah, heißt es, lehnt Kabils Ansinnen, Habils Schwester zu heiraten, ab. Habil stirbt daraufhin, oder er wurde von Kabil erschlagen. Jedenfalls streift dieser jahrelang mit der Leiche seines Bruders durch die Gegend, bis er einen Raben sieht, der einen toten Vogel begräbt. Und also legt Kabil Habil ab, den toten Bruder zu begraben.
Tauben und Elstern hüpfen über das Wellblechdach. Zwei letzte Blätter, die nicht fallen, hängen zwischen nackten Asten. Schnee schmückt sie. Dunkel fällt der Schnee vom Himmel herab, wo er dann weiß auf dem Boden liegt, eine Schicht aus lauter wundervollen einzelnen Flocken, die unter der Lupe wunderschön aussehen und auf dem Handrücken ach so flink wegschmelzen. Die Gespräche sind abwechslungsreich. Einer fängt an über das Leben draußen zu reden, und die anderen winken ab, um zu betonen, dass es im Grunde überall das gleiche Leben sei, immer und überall dasselbe Draußen, und erst im Einzelnen seien die wenigen Unterschiede festzustellen. Im Norden ist den Leuten nicht so schnell kalt und in Afrika tragen sie bei dreißig Grad bunte Mützen auf dem Kopf. Auf fernen Inseln gehen die Frauen barbusig aus, weiter östlich laufen sie nackt herum, leben von Früchten auf den Bäumen oder Tieren, die sie in Gemeinschaft jagen. Man geht überall auf der Welt zur Arbeit, verdient damit den Lebensunterhalt, kommt von der Arbeit nach Hause, isst etwas, sieht fern, schläft und isst am Morgen wieder etwas, um dann zur Arbeit zu gehen. Ich kann gar nicht genug davon hören, wie das Leben draußen ist, was die Männer über ihre Frauen und Chefs erzählen, die gut von Krankenschwestern reden, sie mögen, weil sie nicht geschminkt sind und besser aussehen als die Frauen draußen. Der Teppichstürzer gibt zum Besten, er würde mit ihnen allen ins Bett gehen, wäre er nicht gehandicapt. Die aber nicht mit dir, Angeber, mischt sich Ewigejagdgründe ein, der sich sonst kaum zu Wort meldet, stumm im Bett liegt. Obwohl ich von ihren Sehnsüchten nicht in Andeutungen weiß und sie sich befremdliche Sätze zuwerfen, fühle ich mich wie zu Besuch in einem Kino, wenn sie erzählen, was für Dinge sie so unternehmen, wohin sie in den Urlaub gehen, mit der Familie ins Blaue, an die See, in die Städte, Metropolen; exotische Orte mit Sehenswürdigkeiten, die man aus Bildbänden kennt. Sie reden über das Geld, das sie liebes Geld nennen, als wäre das Geld eine Freundin, mal gut, mal nicht, mal eine Freude und dann wieder belastend, schwer zu verdienen, leicht für eine dumme Sache verschwendet, verloren gegangen am Spieltisch, an die Frau, Kinder, Familie. Und das Zuhause ist bei ihnen kein einheitlicher Ort, sondern bei jedem grundverschieden eingerichtet. Der eine hat sich eine Kellerbar ausgebaut, der andere kann ohne solch einen Kram leben. Der eine liebt Besuch, der andere bekommt keinen, wie Ewigejagdgründe.
Der Pfleger sagt: Jetzt kommt einer, der ist einige Male hier gewesen. Was er denn hat, fragt Altermann. Der Pfleger torkelt zwischen unseren Betten, spielt besoffen, lallt, das hat der, sonst hat der nichts. Ein Suffke, sagt Altermann. So einer hat uns noch gefehlt. Suffke wird mit Blut beschmiert eingeliefert. Suffkes Augen sind zugeschwollen, der Mund ist dunkelblau, rot und violett eingefärbt, das Gesicht ist verbeult, seine Finger blutig wie die Ärmel an seinem Hemd. Großflächige Wunden bedecken die Stirn. Er ist an beiden Armen wund. Einen Schuh trägt er noch, den anderen hat er verloren, die Socke hängt am Sockenhalter. Man steckt ihn in ein viel zu kurzes Nachthemd, sein Geschlechtsteil schaut darunter hervor. Suffke benimmt sich laut und böse. Er spricht mit krächzender Stimme, weist mit dem Zeigefinger auf Blaumeise, sagt zu ihm: Du bist neu hier, weist den Finger auf mich, raunt: Du auch. Schimpft die Kranken im Raum Drückeberger, lacht Altermann aus, sagt zu ihm: Du siehst ja aus wie der Tod auf Latschen. Wirft sich aufs Bett, krakeelt grimmig und ungehalten und ist eingeschlafen, schnarcht, presst Jacke und Hose unter den rechten Arm, riecht wie eingepisst, erwacht und monologisiert einen komischen Singsang: Bin ein Ferkel klein, doch mein Schwesterlein ist eine Sau, gejagt von Nachbarns Hunden. Zerrt an seiner Kleidung, tobt: Was ist das für ein Nachthemd, was trage ich für einen dämlichen Fummel, sehe aus wie eine Leiche, ich muss hier raus, verdammte Scheiße, die schlagen zu Hause meine Bude kaputt, will nach Hause, muss nach Hause. Die Helfer packen und binden ihn mit geübten Handgriffen ans Bett, verschieben ihn auf den Flur, von wo er eine Weile noch zu hören ist, ruft und zetert. Ein kurzer, lauter Disput, und dann ist nichts mehr von ihm zu hören.
AUS DEM KRANKENHAUS entlassen, forsche ich meine Adoptionseltern aus, stelle Fragen, denen sie ausweichen. Ich erhalte auf die Frage aller Fragen keine Antwort, liege im Bett, finde keinen Schlaf, sitze am Fenster, es schneit, regnet, die Sonne scheint, kein Wind weht, kein Laut ist zu vernehmen, Ruhe herrscht über den Wipfeln, keine Sonne scheint, kein Vogel fliegt, es ist nicht Tag, nicht Nacht; das große, unbekannte Nichts. Den Dachboden trenne ich in seiner Mitte mit Decken ab, erbaue mir einen Hinterschlupf, meinen privaten Verschlag, sitze dort am Fenster, den schöneren Ausblick genießen, die Musikboxen aufdrehen. Nach den tollen Tagen im Krankenhaus halte ich das Schweigen um mich herum nicht gut aus, bin am Boden zerstört. Die Kumpels können mit meiner polnischen Rockmusik nichts anfangen. Czeslaw Niemen sagt ihnen nichts, Enigmatic halten sie bestimmt nicht für einen Meilenstein des Rocks. Mein Lieblingsstück beginnt feierlich. Die Einleitung ein mächtiges Glockentönen und Chorgesang, ehe die für Niemen typische Orgel hell und quietschend die Gesangsstimme ankündigt, die ich überragend finde, die dem Musikgeschmack der Kumpels aber nicht entspricht. Ich impfe mich mit Gesang. Sah einst drei gebratene Tauben fliegen, sie flogen also ferne, die Bäuche hatten sie gen Himmel gekehrt, den Rücken zu der Erden, es schifft ein Schiffmann auf trucknem Land, er hat ein Segel gegen den Wind gespannt, mit seinen hellen Augen, er rudert an einem hohen Berg, daran muss er ersaufen, es wollten ihrer vier einen Hasen fangen, sie kamen auf Krücken und Stelzen gegangen, der eine kunnt nicht hören, der andere war blind, der dritte war lahm, der vierte kunnt nicht reden, nun weiß ich nicht, wie das geschah, dass der Blinde den Hasen sah im weiten Felde grasen, der Stumme sagt es dem Tauben an, der Lahme erwischt dann den Hasen.